Ein Kommentar zum G20 Gipfel in Hamburg, Juli 2017

Es wäre ja so schön, wenn aller Protest in dieser Welt friedlich, gewaltfrei und effektiv wäre. Wir denken dabei meist an den dürren Inder, der damals mit runder Nickelbrille und mit einfachen Baumwollkleidern herumsaß und die Engländer ärgert, und auf diese Weise – so die Überlieferung – sein Land, Indien, zur Selbstbestimmung führte und so die Welt veränderte. Leider zeigt die Geschichte, dass fast alle sozialen Umschichtungen und Revolutionen mit Gewalt verbunden waren und nicht selten die Gewalt von Hooligans (Anarchisten, Umstürzlern, Partisanen, Widerstandskämpfern, Rebellen, usw.) ausging. Dabei ist interessant, dass diese Hooligans oft von der eigentlichen politischen Agenda nicht die geringste Ahnung hatten. Beispiele: Der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, der Anfang der französischen Revolution. Oder die Oktoberrevolution der Bolshewiki 1917. Oder die Xinhai Revolution, die chinesische Revolution 1911. Die Geschichtsbücher sind voll mit vielen weiteren Beispielen).

Und die Polizei? Die Polizei macht was sie zu tun hat. Die Polizei ist die vollziehende Staatsgewalt (Art. 20/2 GG: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt). Eine alte Sache: der Staat hat das Gewaltmonopol und damit aber auch die Pflicht sich um alle Staatsbürger zu kümmern und für ihre Sicherheit zu sorgen, denn sie haben ja ihre Gewalt, z.B. das Recht Waffen zu tragen, an den Staat abgegeben. Das ist nicht neu sondern die fast tausend Jahre alte Idee des Landfriedens die sich im Laufe der Zeit sehr wohl bewährt hat. Wie die Polizei das genau im Einzelnen zu macht, dafür gibt es Regeln, Grundsätze und Regeln. (Landfrieden: Der Landfrieden bildete die politische Grundlage für die Verwirklichung des Rechts ohne den privaten Rückgriff auf Gewalt. Sie regelten oft auch die Gerichtshoheit und ermöglichen damit die Beilegung von Streitigkeiten durch an allgemeinen Regeln ausgerichtete Beschlüsse. Verstöße oder Gefährdungen des öffentlichen Friedens wurden mit peinlicher Strafe bedroht. Nur so konnten Gegenstände oder Gebäude und Personen unter allgemeinen Schutz gestellt werden). Diese Regeln sind zum Teil recht komplex und leuchten einem, der nicht mit der Sache vertraut ist, nicht immer ein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Polizeirecht ist ein Beispiel. Kurzum, die Polizei hat einen Auftrag, der klar definiert und reguliert ist.

Die Polizei ist eine organisierte Gruppe von Menschen(!) die einem Plan folgt, einem Einsatzplan, der von den Vorgesetzten ausgearbeitet wurde. Meist sind die Polizisten gut ausgerüstet und für allerlei Situation meist recht gut ausgebildet und vorbereitet. Die grundsätzliche Frage ist wie die Polizei ihre vorgegebenen Aufgaben erfüllt. Hat sie genug Einsatzkräfte und Gerät für die vorgegebene Aufgabe? Entspricht der Einsatzplan der Aufgabe und, was ist, wenn sich die Situation in unvorhergesehener Weise ändert?

Verkürzt gesagt: Die Polizisten sind auch nur Menschen, die Fehler machen können, die sich evtl. doch provozieren lassen. Sie handeln in einem vorgegebenen Rahmen, der nicht vom einzelnen Polizisten bestimmt wird. Jede Kritik an der Handlungsweise muss sich daher zuerst mit den Vorgaben beschäftigen. Damit ist die Kritik im öffentlichen Raum und auf der Ebene der Exekutive (Landesregierungen und Verwaltungen) und keinesfalls auf der Ebene des einzelnen Beamten. Dessen Verhalten (oder auch Fehlverhalten) kann und wird durch interne Verfahren gewährleistet, – und falls nicht, dann ist das auch in erster Linie Aufgabe der Landesregierungen und deren Verwaltungen.

Es wäre ja so schön, wenn jeder Polizist und jede Polizistin den vollen Überblick hätte, sich nicht provozieren ließe und jederzeit haargenau auf der Grundlage aller Regularien handeln würde. Aber Polizisten sind eben Menschen, menschlich und nie perfekt.

Natürlich ist es nicht richtig, wenn die Polizei eine genehmigte Demo einkesselt. Natürlich ist es nicht richtig, wenn sich Polizisten provozieren lassen, außerhalb ihrer Regeln agieren oder aus Frust oder anderen niedrigen Gründen mit dem Schlagstock nochmal draufhauen, wenn einmal schon fast zu viel war. Andererseits – und ganz ohne manche schlimmen Übergriffe rechtfertigen zu wollen – arbeitet die deutsche Polizei beachtenswert legal und korrekt. Das wird besonders deutlich wenn man die Arbeit der deutschen Polizei mit der mancher Dritte-Welt-Länder vergleicht, wo die uniformiert daherkommende Staatsgewalt eher ein hau-drauf Schwadron ist, das scheinbar nach der Devise agiert: ein großer Hammer ist immer besser als ein kleiner.

Es wäre ja so schön, wenn bei jedem Krieg und Konflikt nur auf die „bad guys“, die Bösewichter geschossen würde. Wenn diese dann einmal nicht mehr da sind, dann fügt sich alles – so möchte man glauben – zum Besseren. Alle haben sich wieder lieb, treiben weltweiten Handel, Friede, Freude, Eierkuchen allenthalben. Leider zeigt auch hier die Geschichte, dass jeder Krieg und jeder Konflikt einen hohen Blutzoll gerade von denen forderte, die eigentlich gar nichts mit dem Krieg, seiner Ursache und seinen Zielen, zu tun hatten, von der Zivilbevölkerung, also Menschen die einfach zu falschen Zeit am falschen Ort waren oder nicht die Möglichkeit hatten zu flüchten. (Beispiele: Die Bombe auf Hiroshima, die Bombardierung von deutschen Städten im 2.WK Dresden/Hamburg oder die Bürde des Krieges in Vietnam für die Zivilbevölkerung, u.v.m.). Die Politiker und Generäle, die ihre Taten zu rechtfertigen suchen, verwenden das Wort „Kollateralschaden“. Sie meinen damit einen traurigen Umstand, der nicht zu verhindern war – so wie ein Huhn, das auf einer belebten Straße überfahren wird – oder ein Opfer von Leben, das angeblich angesichts einer größeren, wichtigeren, und guten Sache vertretbar erscheint (lat.: honesta turpitudo est pro causa bona, – Für einen guten Zweck ist Fehlverhalten tugendhaft). Darf man so denken?

Man erwartet von Demonstranten, dass sie sich systemkonform verhalten, alle Regeln achten und ihre Meinung ganz brav im Rahmen der geltenden Gesetze kund tun würden. Genau gesehen ist das ein Grenzbereich, denn viele soziale Umschichtungen und Revolutionen wären im Rahmen der damals geltenden Gesetze gar nicht möglich gewesen. Das ist eben die Natur der Revolution.

Natürlich ist es nicht richtig, wenn Demonstranten Schaufensterscheiben einwerfen oder gar Geschäfte plündern. Das ist unter gar keinen Umständen auch nur irgendwie zu rechtfertigen. Allerdings sind solche brandschatzenden und plündernden Demonstranten eine sehr kleine, wenn auch deutlich aus der Masse hervortretende Minderheit.

The „Big Picture“

Wir können getrost davon ausgehen, dass in dieser Welt vieles nicht richtig läuft und verbessert werden müsste. Allerdings besteht darüber, was geändert werden sollte und mit welchem Ziel, überhaupt kein gesellschaftlicher Konsensus.

Sehen wir uns mal die weiteren Zusammenhänge an::

  • Flüchtlingsströme, die aus vielen verschiedenen Gründen ihre Heimat verlassen, um ein besseres Leben zu suchen, gehen um die Welt. Dabei ist es völlig egal ob die Ursache solcher Migration Krieg, Hunger, oder einfach nur in der Hoffnung auf eine wirtschaftliche Verbesserung ist, denn jeder Mensch hat das Recht, seine Situation so zu verbessern, wie er/sie es für sinnvoll oder erstrebenswert hält. In der amerikanischen Verfassung ist das längst und unbestritten als Recht auf pursuit of happyness (dt.; „Streben nach Glück“ oder Selbstverwirklichung) festgeschrieben.
  • Jahrhunderte lang wurden viele Länder dieser Welt durch Kolonialismus ausgebeutet und der Reichtum und die Wirtschaftliche Überlegenheit Europas und Amerikas (und einiger anderer Länder) gründet sich auf die Beute, die von den Kolonien gerafft wurden. Schon vor 150 Jahren hat Karl Marx als Erster systematisch erklären können, warum der Kolonialismus nicht im Interesse der Menschen funktioniert und immer wieder zu Krisen und Kriegen führt.
  • Waffen werden in vielen Ländern fabriziert und mit großem Gewinn in andere Länder verkauft. Es wird stets versucht, das moralisch als „Sicherung des Friedens“ zu rechtfertigen; im Grunde sind Waffen aber nur ein wirtschaftlich hochprofitables Geschäft, das man sich nicht entgehen lassen will. Den Käufern der Waffen wird das Versprechen abgenommen, diese nur in einem gerechten Krieg, oder besser gar nicht zu verwenden. Das ist vergleichsweise so, als ob man einem jungen Mann ein Motorrad verkauft, mit der Einschränkung, dass er nicht damit fahren soll. Also unrealistisch.
  • Oder gewisse Länder spielen selbst Weltpolizist („vertreten nationale Interessen“) und versuchen das weltpolitische Gleichgewicht zu ihrem Vorteil zu verschieben. Da wird mal ein Krieg mithilfe von Lügen gerechtfertigt und über ein Land oder eine Region gebracht (Beispiel: Irak). Oder, Krieg im Kleinen: Man fliegt mit einer ferngesteuerten Drohne über ein anderes Land und schießt jemand tot, weil man meint, er/sie wäre gefährlich, ein Terrorist. Da ist kein Verfahren, bei dem der Totzuschießende sich noch rechtfertigen könnte, da wird kein Krieg angesagt, nichts. Irgendjemand unterschreibt die kill list für diese Woche, die dann von Soldaten wie ein Computerspiel abgearbeitet wird. Ich sehe das als Staatsterrorismus.
  • Politik und Kapital verwirklichen gemeinsam Pläne, die ganz vorhersehbar Umwelt und Klima verändern werden. Als Folge davon, werden irgendwo und irgendwann eine Gruppe von Menschen ihr Lebensgrundlage verlieren. Vielleicht werden sie zu Flüchtlingen, die woanders eine neues Leben versuchen wollen oder nach ein paar Jahren verhungern. Auch das ist Staatsterrorismus, auch wenn sich Ursache und Folgen nicht direkt korrelieren lassen, da zwischen Ursache und Folge oft Jahre oder Jahrzehnte liegen.

Was ist in Hamburg denn schon passiert?

Eine Demo mit hunderttausend oder mehr Menschen. (Ich habe mal bei einer Demo mit 650,000 Menschen mitgemacht). Kein einziges Menschenleben ist zu beklagen. Da waren ein paar brennende Barrikaden, die imposante Bilder im Fernsehen abgaben. Autos wurden verbrannt, nach offiziellen Quellen weniger als hundert. Das sind weniger als jeden Tag auf Straßen und Autobahnen durch Unfälle zerstört werden. Zu meiner Überraschung werden die abgefackelten Autos von der Demo in Hamburg meist von der Versicherung ersetzt. Ich dachte immer, dass Versicherungen Schäden bei „Naturkatastrophen, Kriegseinwirkungen, Bürgerkrieg, …“ nicht leisten müssten. Der Schaden wird also von der Allgemeinheit ersetzt.

Die Politik und die Klasse der Herrschenden die da konferiert, kann sich freuen, denn die Bilder von Demos und Feuern auf den Straßen lenken ja so schön von der eigentlichen Sache der G-20 Konferenz ab: „Guck‘ mal, diese bösen Anarchos da draußen, die uns hier stören während wir hier brav Musik hören – und die Welt und ihr Geld neu verteilen“. Handelshemmnisse müssen beseitigt werden, sagen sie. Das Kapital muss flüssiger fließen können, denn so lässt sich der Profit weiter maximieren. Terrorristen, diese bösen Menschen, müssen bekämpft werden. Lasst uns ein paar Drohnen dort hinschicken um aufzuräumen (…sieht dabei aus dem Fenster, wo die Rauchfahnen der brennenden Autos zu sehen sind). Einige verbrannte Autos (Hamburg) oder ein ausgebombtes Land, wo Kinder verhungern und die Krankenhäuser zu Ruinen wurden (z.B. Jemen) scheinen hier die gleiche Gewichtung zu bekommen. Wer nicht für uns ist, der ist eben gegen uns. So geht Globalisierung!

Es wäre ja so schön gewesen, wenn man sich auf der Konferenz einige Gedanken dazu gemacht hätte, wie der afrikanische Kontinent, der durch Kolonisation wie eine Weihnachtsgans ausgenommen wurde, wieder auf seine Beine gestellt werden könnte. Waffen, um die Migranten an der jeweiligen Grenze totzuschießen oder Stacheldrähte, sind sicher nicht der richtige Ansatz. Es wäre ja so schön gewesen, wenn man sich Gedanken darüber gemacht hätte, wie das Ungleichgewicht von Besitz, Reichtum und den Zugang zu Ressourcen (Wasser, Land, Nahrung, etc.) zum Vorteil der Menschen und nicht zum Vorteil des Geldes diskutiert worden wäre. Aber da war nichts dergleichen. Das ist besonders schlimm, weil das so vorhersehbar war.

Ist es in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, dass Menschen auf die Straße gehen und protestieren? (Ob das so richtig ist und ob das die anarchistischen Taten in der Peripherie rechtfertigt oder nicht, ist eine andere Sache).

Wohin wird das führen?

Es ist immer schwer vorherzusagen, wohin eine Revolution führt. Ja, alleine die Ziele so einer Revolution sind fast immer umstritten. Was ist gut und richtig, was ist böse und falsch? Wird es hinterher besser sein, mehr Freiheit, ein besseres Leben? Die Geschichte ist voll mit Beispielen, die zeigen können dass eine Revolution das Leben der einzelnen Menschen verbessert hat. Leider gibt es ebenso viele Beispiele, die das Gegenteil belegen. Ein gutes Beispiel dazu wäre Pol Pots Revolution in Kambodscha in der Mitte der 1970er Jahre.

Die Evolution in der Biologie ist eine an sich ungerichtete Entwicklung. Evolution hat kein Ziel. Evolution probiert nur verschiedenen Modelle aus und testet sie auf ihre Tauglichkeit für das Fortbestehen des Individuums und der jeweiligen Art. Sollten wir vielleicht die soziale Entwicklung dieser Welt aus diesem Blickwinkel betrachten? Sind die jeweiligen Systeme nicht doch nur ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Macht (den Mächtigen, den Herrschenden) und den Unmächtigen? Ist Ordnung und Gesetz nicht einfach nur das Gegengewicht zu Chaos und Willkür? Sind nicht alle Gesellschaften dieser Welt nur ein dynamisches Gleichgewicht des Yin und Yang der Möglichkeiten?